Juli 17, 2023

„Lernen basiert auf Widerstand“, denn „Widerstand ist eine Grundkonstante des Menschseins“. Deshalb können Widerstände von Lernenden gegenüber Lernangeboten gut und wichtig sein. Das erläutert mein Kollege Christian Huber im Gespräch mit Claudia Schütze sehr klug und hörenswert in der aktuellen LERNLUST Podcastfolge #38: „Lernwiderstände: Warum Menschen Lernen verweigern – und wieso das in Ordnung sein kann.“

Die Auseinandersetzung mit Lernwiderständen, ihren Facetten, Gründen und dem Umgang mit Ihnen ist unbedingte Notwendigkeit für uns Learning Professionals. Noch nie habe ich das so gut strukturiert und nachvollziehbar zusammengefasst gehört wie bei Christian und Claudia.

Christian steigt ein, indem er drei erkennbare Auswirkungen von Lernwiderständen beschreibt:

  1. Menschen nehmen nicht an Weiterbildungen teil, indem sie ganz einfach nicht anwesend sind.
  2. Lernende scheitern beim Lernen, weil sie auf individuelle Barrieren stoßen (die Art des Lernens passt für sie z. B. nicht).
  3. Lernenden zeigen widerständiges Verhalten in konkreten Lehr-/Lernsettings (z. B. Augenrollen, demonstratives Unaufmerksam-Sein, den Raum verlassen … oder die Klassiker: Die Ausdehnung der Kaffeepause oder die aufgeklappten Laptops oder die Beschäftigung mit dem Handy).

Aufbauend auf Daniela Holzers als Open Access verfügbarem Buch „Weiterbildungswiderstand. Eine kritische Theorie der Verweigerung“ und den von Peter Faulstich und Petra Grell beschriebenen Gründen für Lernhemmnisse und Lernschranken legen Christian und Claudia dar, warum diese Widerstände zum Lernprozess dazugehören können.

Überzeugend finde ich die schon eingangs erwähnte Aussage, dass Widerstand eine wertvolle Essenz von Lernprozessen ist und eine kritische Auseinandersetzung mit einem Thema hervorrufen kann (bei mir selbst beobachte ich das seit einiger Zeit beim Thema „Künstliche Intelligenz“, zu dem ich bei mir selbst großen Widerstand verspüre und eine dementsprechend für mich passende Art des Zugangs wähle). Solche Widerstände beinhalten auch kritisches Prüfen, was aus dem Lernangebot für den Arbeitsalltag der Lernenden wirklich passend und relevant ist.

Als weitere Gründe für Widerstände besprechen Christian und Claudia potenzielle Bevormundungs- oder Fremdsteuerungs-Wahrnehmung der Lernenden bzw. die Wahrnehmung von „Lebenslangem Lernen“ als Zumutung, weil es als Zuschreibung permanenter Unzulänglichkeit der Lernenden oder als Vereinnahmung wertvoller Frei-Zeit empfunden werde. Claudia weist darauf hin, dass wir Learning Professionals unsere eigene Begeisterung für Lernen nicht auf alle Menschen verallgemeinern dürften. (Ja, das vergesse ich tatsächlich immer wieder!)

Nach Faulstich und Grell sollten wir soziale und institutionelle Gründe für Widerstände unterscheiden, betont Christian. Soziale Gründe könnten Glaubenssätze oder Zuschreibungen an Geschlecht oder Alter bzw. die eigene Biographie und Sozialisation sein. Institutionelle Gründe wären z. B. Lernarchitekturen oder andere Strukturen in der Organisation, die sich als Hindernis für das Lernen herausstellen … z. B. verwendete Begriffe/Benennungen, zeitliche Faktoren oder Double-Bind-Botschaften wie ‚Lerne möglichst viel, aber verbringe nicht zu viel Zeit damit‘.

Oft werden Problemlösungsanforderungen auf die Lernenden projiziert, die dann durch ihr individuelles Lernen ein Problem lösen sollen, das eigentlich in Strukturen der Organisation oder Gesellschaft liege. Als Klassiker nennt Christian Kurse zur Burnout-Prävention, die Burnout zu einem individuellen Problem verschieben, wo doch insbesondere eine gute und gesunde Organisation der Arbeitsstrukturen und -bedingungen zählt.

Christian betont deshalb, wie wichtig es ist, zu erkennen, wann wir es mit institutionellen Gründen zu tun haben, denn nur die können wir angehen.

Abschließend teasern Christian und Claudia eine verlockende Fortsetzung der Auseinandersetzung mit Lernwiderständen an, indem sie drei Vorschläge unterbreiten, auf didaktischer Ebene mit Lernwiderständen umzugehen:

  1. Widerstände wahrnehmen und benennen
  2. Widerständen Raum geben und sie wertschätzen
  3. Widerstände thematisieren und sie gemeinsam reflektieren

In diesem Sinne: Für mehr Widerständigkeit im Lernen!

Allen Menschen, die Lernen in Organisationen gestalten, sei diese LERNLUST-Podcastfolge besonders ans Herz gelegt.

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