Das ist Beitrag 29/100 der #100DaysToOffload-Challenge. Mein Ziel ist, hier mindestens 100 Beiträge im Jahr 2021 zu schreiben. So möchte ich für mich das Bloggen zur Gewohnheit machen.

Zufall und Serendipity auf dem #remotecamp2021
Am Freitag war ich Teilgebender beim #remotecamp2021. Ich hatte mich ganz spontan angemeldet, weil gleich zwei Sessions Begriffe im Titel trugen, die mich begeistern: Serendipity … und Zufall.
Die erste Session von Benjamin Reitzammer war “Assisted Serendipity & das dekonstruierte Office” gewidmet. Der Titel drängte meine Gedanken zur Serendipität von Kaffeeküchen und Bürofluren, den kaum geplanten Gesprächen zwischen Tür und Angel, dem Flurfunk und all den weiteren glücklichen Zufällen, die wir in Homeoffice-Tagen und Videokonferenzen nicht mehr finden. Darum ging es in der Diskussion, die teilweise recht nostalgische Klänge annahm. Wir waren uns einig, dass das Nachbauen dieser früheren serendipitären Orte im Digitalen selten sinnvoll ist und virtuelle Kaffeeküchen nur bedingt funktionieren. Wir sprachen auch über andere Formen der Kommunikation im Digitalen, die der Serendipität förderlich sein können. Ich erinnerte mich an tolle Begegnungen mit Menschen in zufällig zusammengestellten Zoom-Breakout-Räumen, die bei manueller Raumwahl vielleicht nicht zustande gekommen wären. Ich dachte daran, dass gerade der Umstand, dass ich auf unserem vergangenen Firmen-Barcamp in Teams-Besprechungen stolperte, ohne vorher zu wissen, wen ich dort antreffen würde, einen besonderen Reiz hatte und ich auf diese Art Gespräche mit Kolleg*innen führte, zu denen ich mich auf einer regulären Firmenfeier wahrscheinlich nicht gesellt hätte.
Die zweite Session von Jacob Chromy trug den Titel „Wie wir den Zufall für Innovation nutzen können“ und war von Jacob perfekt durchorganisiert. Hier war nichts dem Zufall überlassen. 😉
Jacob führte uns durch drei Übungen, in denen die zufällige Kontrastierung oder Kombination verschiedener Sinnzusammenhänge zu neuen Erkenntnissen führen sollte: „Random Tandem+„, „Random Buchseite“ und „Random Creativity Cards„.
„Random Tandem+“ war mein Favorit. In Zweiergruppen erläuterten wir uns gegenseitig ein Thema, in dem wir richtig gut sind oder das uns begeistert. Anschließend überlegten wir individuell im Brainwriting und anschließend im Gespräch, wie die beiden Themen sich gegenseitig befruchten und unterstützen könnten. Die Kombination, mit einem bislang unbekannten Menschen die eigenen Herzensthemen auszutauschen und sie dann zu kombinieren, hat große Energie und Motivation in uns freigesetzt. Eine tolle Übung!

Von „Random Buchseite“, der zweiten Übung, hatte ich schon oft gehört (zuletzt in der LernXplorer Podcast-Folge zum Thema Metakompetenzen und hybrides Denken, in der Torsten Breden sie als eine Methode vorstellt, hybrides Denken zu trainieren), aber ich hatte sie noch nie selbst ausprobiert. Jetzt endlich – und sie ist ganz einfach: Wir sollten uns ein aktuelles Problem notieren und anschließend ein beliebiges Buch aus dem Regal ziehen und aufblättern. Die aufgeblätterte Seite zur Hälfte durchlesen. Anschließend überlegen, wie wir den Inhalt der eben gelesenen Passage nutzen könnten, unser Problem zu lösen. Da mein Buch ein eher launiger Unterhaltungsroman aus den Siebziger Jahren war, kam ich auf wirklich schräge Lösungsansätze, die vielleicht noch nicht praxistauglich sind, mich gedanklich aber auf völlig neue Wege brachten. Und genau darum ging es. Oder wie Torsten Breden in oben genanntem Podcast sagt: „Es ist wahrscheinlich eine tolle Kompetenz des Gehirns, dass es immer Sinnzusammenhänge stiften muss. Mit diesem Spiel kann man das ein bisschen stimulieren.“

Die dritte Übung stieß bei vielen Teilgebenden auf großen Anklang … mir selbst hat sie eher wenig gebracht. Jacob hatte Creativity Cards mitgebracht, auf denen konkrete Begriffe und reduzierte Abbildungen zu sehen waren. Auch hier war die Aufgabe wieder, unser Problem mit den gezeigten Begriffen zu kombinieren und zu überlegen, wie der Begriff bei der Problemlösung unterstützen könnte. Ich kam gedanklich nicht auf neue Pfade, sondern hatte das Gefühl, den Begriff so zu ‚verbiegen‘ oder zu interpretieren, dass er auf den naheliegendsten Lösungsansatz einzahlt. Außerdem fehlte mir gegenüber der ersten Übung die Menschlichkeit/Begeisterung und gegenüber der zweiten Übung die komische Absurdität.
Viele weitere Übungen, um den Zufall herauszufordern und für sich nutzbar zu machen, haben Tobias Leisgang und Jacob Chromy auf ihrem Padlet gesammelt. Ich werde sicher noch die eine oder andere davon ausprobieren und habe eben schon den Icebreaker-Bot für MS Teams ergänzt, der zwei Menschen im Unternehmen nach dem Zufallsprinzip zusammenbringt und ihnen einen gemeinsamen freien Termin für ein Treffen vorschlägt.
Meine Neugier auf Serendipity
Neulich las oder hörte ich irgendwo, dass „Serendipity“ ein trend-verdächtiger Begriff auf Instagram sei. Da ich mich von Instragram verabschiedet habe, darf ich diesen Aspekt heute ausblenden. Eine Hashtag-Suche auf Twitter gab mir allerdings den Eindruck, dass der Begriff auch hier inflationär oft als wohlfühliges Wort ohne Bedeutung verwendet wird.
Ich hörte den Begriff zum ersten Mal von Harold Jarche, als ich auf dem Learntec-Kongress 2019 traf. In seinem Vortrag über die Netzwerkgesellschaft und sein Seek>Sense>Share Framework beschrieb er Serendipität als wertvolle Eigenschaft des Vernetzens und Teilens. Dazu näher in einem seiner Blogposts:
„The multiple pieces of information that we capture and share can increase the frequency of serendipitous connections, especially across organizations and disciplines where real innovation happens. As Steven Johnson, author of Where Good Ideas Come From says; ‚chance favors the connected mind‘.“
Harold Jarche: The Seek > Sense > Share Framework (https://jarche.com/2014/02/the-seek-sense-share-framework/)
Harold beschrieb, wie er es sich zur Übung gemacht hat, Menschen auf Twitter zu folgen, die mit seinem eigenen Leben möglichst wenig gemein haben, und sehr aufmerksam alle ihre Beiträge zu lesen … eine seiner Übungen, Serendipität zu fördern und durch den glücklichen Zufall auf neue Themen und Lebensweisen zu stoßen.
Mich begeistert diese Art der nicht zielgerichteten Neugier. Ich erinnere mich an Übungen aus meiner Studienzeit, in der ich innerhalb von 24 Stunden ein Videoporträt erstellte. Manchmal startete ich am Abend. In einer Kleinstadt wie Weimar gab es dann zunächst niemanden auf den nächtlichen Straßen, die*der sich aufdrängt, mit der Videokamera begleitet zu werden. Ich erinnere mich, wie ich durch die dunklen Straßen lief und an beleuchtete Fenster klopfte, Restaurantbesitzer ansprach, die gerade ihre Läden schlossen und schließlich in der Taxizentrale am Bahnhof landete. Ich hätte jeden Menschen porträtiert, dem ich begegnete und der offen dafür war – und durfte so eine halbe Nacht beobachten, wie die Funkbedienerin nachttrunkene Kund*innen mit Taxifahrer*innen zusammenbrachte. Auf diese Weise lernte ich zufällig verschiedene Menschen und Berufe kennen, die mir bei sorgfältiger und vorbereiteter Suche der zu Porträtierenden wohl nicht begegnet wären.
„One day we might be able to stumble upon new and better ways of getting lost.“
Pagan Kennedy: How to Cultivate the Art of Serendipity (https://www.nytimes.com/2016/01/03/opinion/how-to-cultivate-the-art-of-serendipity.html)

Ich glaube, diese Art der Serendipität liebe ich ganz besonders. Die, die sich uns durch Neugier und Herumschlendern offenbart. Die sich uns ganz plötzlich und unerwartet zeigt, weil wir uns in einer Welt bewegen, die sie erlaubt und möglich macht. Weil wir Strukturen finden, schaffen oder nutzen, die Sichtbarkeit und Entdecken ermöglichen. Weil wir Menschen und ihren Herzensthemen gegenüber empfänglich sind. Weil wir ohne Plan durch die Stadt oder das Internet laufen. Weil wir uns Zeit nehmen. Weil wir andere Perspektiven einüben. Weil wir voller Absicht den Weg vergessen, den wir gekommen sind.
Die strukturierten Übungen aus Jacobs Session sind wertvoll für die Lösung konkreter Probleme. Und die wirkliche Schönheit von Serendipity zeigt sich, wenn sie kommt, ohne gerufen worden zu sein …
100DaysToOffload: Wenn Du wissen willst, warum ich diesen seltsamen Hashtag so oft verwende, lies Dir gerne die Erläuterungen zur Challenge auf https://100daystooffload.com/ durch. Vielleicht hast Du auch Lust, mitzumachen?