Vergangenen Mittwoch habe ich die neue #Lernlust Podcastfolge meiner Kolleginnen Lisa Müller-Gebühr und Susanne Dube gehört.
Die Episode dreht sich um Produktion und Einsatz von sogenannten „Rapid Learning“ Inhalten. Sie hat einige Gedanken in mir ausgelöst, die ich hier zusammentrage und ergänze.
„Rapid Learning, das sind schnell erstellte Lerninhalte, wie sie in Unternehmen schon länger benutzt werden. Schnell erstellt … leider darunter auch automatisch die Trainingsqualität?“ fragt Susanne in ihrer Einleitung.
Über diese Frage bin ich gestolpert. Schnell erstellt bedeutet nicht schnell trainiert bedeutet nicht schnell gelernt. Und deshalb finde ich, dass es sich lohnt, genauer darüber nachzudenken, was „Rapid Learning“ für Erstellung, Training und Lernen bedeutet … auch unabhängig voneinander. Auf die diese unterschiedlichen Bedeutungen gehen Lisa und Susanne in ihrem Gespräch (insbesondere in der zweiten Hälfte) ein. Ich empfehle aber, sich auch durch den ersten Teil zu hören, in dem erst einmal prinzipielle Einsatzszenarien und mögliche Definitionen von „Rapid Learning“ diskutiert werden.
Ein missdeutiger Begriff
Susanne und Lisa haben sicher keine Schuld an der Flutschhaftigkeit des Begriffs „Rapid Learning“, der mir die letzten Jahre immer seltener begegnet als vor gut zehn Jahren, als die Branche viel von der schnellen und einfachen Welt des „Rapid Learning“ oder „Rapid eLearning“ sprach.
Ich empfinde den Begriff aber als ungeschickt und missdeutig … heute noch viel mehr als damals, als die schnelle und einfache Eigenerstellung von Inhalten an sich schon einen Hauch von Befreiung des Lernens und Sichtbarmachung von Expertisen in Unternehmen mit sich brachte.
„Lernen“ hat mit „Schnelligkeit“ und Effizienz wenig zu tun. Ich versuche, Diskussionen um reine Lerneffizienz und Reduktion von Lernzeiten zu vermeiden, weil sie Lernen häufig als mechanischen Prozess beschreiben. Beim dokumentierten Abhaken sinnarmer Pflichtunterweisungen kann ich nachvollziehen, möglichst wenig Arbeitszeit mit dem Bestätigen von Regelwissen vergeuden zu wollen, dass wenige Sekunden nach der Verarbeitung im Gehirn schon wieder vergessen wurde. Nicht nachvollziehen kann ich diese Übung bei einem echtem Bestreben, Menschen in ihrer Entwicklung zu unterstützen. Da braucht Lernen Zeit, echte Auseinandersetzung, eine bedeutsame Platzierung im Arbeitsprozess, Sinnstiftung, Austausch … . „Rapid“ ist das selten.
Schnelle Produktion und Bereitstellung von relevanten Lerninhalten
Ich habe in den Wikipedia-Artikel zu Rapid Learning geschaut: „Allgemein bezeichnet es die „schnelle Erstellung von Lerninhalten für ein festgelegtes Ziel in einer festgelegten Qualität.“
Weiter wird erwähnt, dass dazu oft verfügbare Tools und Medien genutzt werden: „Dabei sollen Experten und Fachautoren sofort mit den ihnen bekannten Mitteln beginnen können und die Technik selbst steht eher im Hintergrund.“
Wichtig finde ich außerdem den Hinweis, wie die Produktionsweise auf Zusammenarbeit und Ergebnisse in einem „agilen“ Sinn wirkt: „Beim Rapid E-Learning werden in kürzester Zeit prototypische Ergebnisse erzielt, die eine aktive Beteiligung der Benutzer sowie ein klares Verständnis von Benutzer- und Aufgabenanforderungen fördern.“
All diese Aspekte machen Lisa und Susanne im Podcast greifbar und verdeutlichen sie mit Beispielen aus aktuellen Kundenprojekten, in denen Lisa beispielsweise Websessions von Fachexpert:innen beratend begleitet, als Video aufzeichnet und durch Ergänzungen und methodisch sinnvolle Strukturierungen in erweiterte Lernangebote einbettet. Außerdem erwähnt Lisa die schnelle Produktion mit vorhandenen Tools und in besonders direkter und intensiver Zusammenarbeit von Fach- und Lernexpert:in.
Wenn es also primär um eine andere und schnellere Art der Content-Produktion geht und viel weniger um die Art, wie damit gelernt wird: Wäre die Bezeichnung „Rapid Learning Content Production“ nicht exakter?
In dem Zusammenhang denke ich auch an eine Session von Donald Clark auf der Learntec 2019 Konferenz zum Thema Learning-Chatbots, in der Donald darauf hinwies, dass er auf der Learntec viel mehr Medienproduktionsfirmen wahrnähme als Unternehmen, die tatsächlich Lernmöglichkeiten anbieten.

Slow Learning dank Rapid Learning Content?
Wie die Lernenden mit dem „agil“ erstellten, in sinnvollen Kontexten angebotenen und ggf. in umfassenderen Lernsettings eingebundenen Content lernen, darf dann glücklicherweise auch „slow“ sein. Und es gibt sogar lernlustige Menschen, die einen mir sehr sympathischen Begriff entlehnt haben: „Slow Learning“: „The intentionally slow learner controls of the pace and direction of learning. She is responsible for her own curriculum, the nature of her learning, her choice of teachers, mentors, community. She chooses and is responsible for the outcomes and the impact of her learning.“

Lasst uns überlegen, wie wir dank einer Rapid Learning Content Production Budgets neu verteilen können: Weniger Aufwand in Hochglanz-Contentproduktion, dafür mehr Herzblut und kluge Gedanken in transfer-fördernde Lernsettings, hilfreiche Bereitstellungsarten, verfügbare Lernzeit!
Sensemaking dank begleitender Diskussionsangebote
Lisa weist mehrfach darauf hin: „Der Content funktioniert als Einstiegspunkt und sorgt dafür, dass die Lernenden danach tiefer ins Thema einsteigen können.“
Beim Entwerfen von Lerner Journey ist für mich die erste auszuarbeitende Station immer der Kontaktpunkt: Wie treffen die Lernenden auf etwas, das ihnen eine erste Ahnung davon gibt, dass sich der tiefere Einstieg in ein Lernfeld für sie lohnt? Ist es die automatisch generierte Zuweisungsbenachrichtigung des LMS, das triggernde Gespräch in der Kaffeeküche, der geteilte Link im ESN?
Kleine, schnell produzierte Impulse von Kolleg:innen, die den Lernenden nah am Arbeitsfluss begegnen, könnten so ein inspirierender Einstieg sein.
Zum Beispiel über ein Video, das direkt in Teams, Zoom oder Webex aufgezeichnet oder in Powerpoint erstellt wurde, bereitgestellt auf MS Stream, kommuniziert über Yammer oder ähnliche Plattformen …
Was nach dieser ersten Inspiration und ggf. einer weiteren theoretischen Vertiefung über kurierte Inhalte unabdingbar ist: Der Prozess des Sensemaking … das Aufladen des vielleicht zufällig Erfahrenem mit eigener Bedeutung für den Arbeitsalltag und im Arbeitsalltag … und des anschließenden Teilens der eigenen Erkenntnisse, damit der Kreislauf des gemeinsamen Lernens nicht zum Erliegen kommt, sondern sich der Impuls des ursprünglichen Content-Fundstücks in viele Richtungen als immer neue Erschütterungen ausbreitet (Nicht zum ersten Mal verweise ich auf Harold Jarches Seek Sense Share bzw. Personal Knowledge Master Modell, das mich sehr geprägt hat.)
Deshalb eignet sich der Einsatz schnell produzierter Lerninhalte besonders gut dort, wo sie Kommunikation evozieren können. Wir brauchen offene Rückkanäle, die zum Teilen der eigenen Resonanzerlebnisse, Irritationen und konkreter Anwendungen und Arbeitsergebnisse einladen!

Das „agile“ an Rapid Learning Content Production ist nicht die Schnelligkeit, sondern Kollaboration, Lernbereitschaft, Ressourcenorientiertheit und Ergebnisoffenheit
Rapid Learning Content Production ist zwar schnell, dadurch aber noch nicht unbedingt agil. Dass Agilität eine Entwicklung zwangsläufig schneller mache, ist ein Irrglaube.
Was in der Rapid Learning Content Production tatsächlich agil ist, ist die Qualität der Zusammenarbeit zwischen Fachexpert:innen und Lern-Expert:innen.
Anders als in der regulären Content-Produktion, in der Fachexpert:innen oft nur zu Beginn für ein Interview und die Übergabe der Rohinhalte bereitstehen und dann lange nichts mehr vom Entwicklungsprozess der Lerninhalte mitbekommen, entwickeln Fachexpert:innen und Lern-Expert:innen in der Rapid Learning Content Production die Inhalte gemeinsam. Lisa betont das am Ende des Podcasts mehrfach: Die Fachexpert:innen bringen ihr tiefes Fachwissen ein, aber damit dadurch hilfreiche Lerninhalte entstehen, brauchen sie einen Counterpart, eine:n „Übersetzer:in“ oder einen Sparringspartner. Und schon eröffnen sich dadurch neue Potenziale dieser Art der Zusammenarbeit, die es sich lohnt, zu betrachten: Was lernen die Fachexpert:innen selbst durch diese Spiegelung durch die Lern-Expert:innen? Thema: Lernen durch Lehren? Und wie noch viel wertvoller könnte es für die Fachexpert:innen werden, wenn sie schnell und regelmäßig Rückmeldungen, Ideen, Kommunikation … das oben angesprochene Sensemaking … auf ihre erstellten Lerninhalte durch die Kolleg:innen erhalten?
