September 21, 2023

Im letzten Beitrag hatte ich meine Antworten auf die Fragen des eLearning Journal zum Thema „Corporate Learning Ecosystems“ veröffentlicht. (Ich freue mich, dass der Beitrag z. B. im GABAL-Newsletter empfohlen wurde!)

Einige der Antworten hat das eLearning Journal im Artikel „Welches Potenzial hat das Konzept eines Corporate Learning Ecosystems?“ zitiert … gemeinsam mit lesenswerten Positionen vieler weitere Kolleg:innen aus der Corporate-Learning-Branche.

Grundsätzlich empfinde ich viele Positionen, die im Artikel auftauchen, als erfrischende Alternativen zu oft gelesenen Versuchen, „Corporate Learning Ecosystems“ angelehnt an Business-Ökosysteme oder Plattform-Ökosysteme zu beschreiben. Stattdessen definieren mehrere Befragte den Begriff in Anlehnung an biologische Ökosysteme … eine Betrachtung, die ich deutlich interessanter finde als die technisch-wirtschaftliche und die ich deshalb auch ich in meinen damaligen Antworten vertreten hatte.

Folgend versuche ich, die für mich besonders interessanten Aussagen der Branchen-Kolleg:innen aus dem langen Artikel zusammenzufassen und ggf. zu kommentieren.

Einleitend wird im Artikel darauf hingewiesen, dass das Stichwort „Corporate Learning Ecosystems“ eine mögliche Betrachtungsweise darauf sei, wie sich betriebliche Bildung ganzheitlich und strategisch gestaltet.

1. Wie definieren Sie den Begriff „Corporate Learning Ecosystems“?

Der Begriff sei nicht einheitlich definiert, wird im Artikel betont. Deshalb ist es für mich verständlich, dass Befragte und Anbieter mit unterschiedlichen Interessen versuchen, den Trend-Begriff in ihrem Sinn zu deuten.

Mit anderen Befragten teile ich die Betrachtungsweise von Lernökosystemen als an biologische Ökosysteme angelehnte symbiotische Beziehungen:
Der Großteil der Expert:innen ist sich einig, dass sich Learning Ecosystems vor allem durch die Harmonie der einzelnen Bestandteile definieren und die verschiedenen Wechselbeziehungen und Spannungsfelder zu dem Bestehen des Ökosystems beitragen“.
Betont wird, dass Inhalte, technische Infrastrukturen, bewährte und neue Technologien und Formate, soziale Interaktionen und auch Aspekte von Unternehmenskultur und Strategie das Lernökosysteme ausmachen … also eigentlich alles, was irgend einen Einfluss darauf hat, wie sich Lernen in Unternehmen entwickelt.

Einige Befragte betonen schon in der ersten Frage diese intendierten positiven Auswirkungen von Corporate Learning Ecosystems auf kontinuierliches („lebenslanges“) Lernen der Mitarbeitenden … und manchmal klingt das schon fast euphorisch mit der Hoffnung verbunden, dass der Nährboden eines Corporate Learning Ecosystems all das zum Blühen bringe, was Unternehmen zukunftsfähig halte.
Ich hatte in meinen Antworten versucht, den Begriff nüchterner zu verwenden, als etwas, das wir nicht direkt konzipieren, implementieren und verwalten können, sondern nur indirekt.

In den zitierten Antworten fehlt mir ein Aspekt, der mir persönlich wichtig ist: Nach meinem Definitionsversuch beschreibt ein Corporate Learning Ecosystem nicht die Grenzen oder Zuständigkeiten, sondern unseren Blickwinkel und damit die Anforderungen, die Akteure an das Unternehmen prägende Lernen stellen. Es kann deshalb durchaus sein, dass private Interessen und Lernaktivitäten von Mitarbeitenden und überorganisationale Netzwerke, Bekanntschaften, ehrenamtliche Tätigkeiten usw. implizit zum Lernen in Corporate Learning Ecosystems beitragen.

2. Ihrer Ansicht nach: Welche Bestandteile bzw. Komponenten hat ein Corporate Learning Ecosystem?

Bei den Antworten in Frage 1 wurde bereits deutlich, dass die Bestandteile vielfältig gesehen werden.
Genannt werden Technologien (Infrastrukturen wie z. B. Lernnplattformen, aber auch Werkzeuge wie Beamer, Whiteboard …), Lerninhalte, die Akteure selbst (Lernende, interne und externe Stakeholder), soziale Aspekte und der oft genannte, aber meines Erachtens meist zu unkonkrete Begriff der „Lernkultur“. Claudia Musekamp und Katja Bett präzisieren, indem sie auf die förderliche und den Blick auf das Corporate Learning Ecosystem schärfende Bedeutung der Unternehmensstrategie und organisatorischer Strukturen hinweisen.
Ich hatte schon erwähnt, dass ich es für wenig hilfreich halte, ein lebendiges und in komplexer Weise in Abhängigkeiten verschlungenes Corporate Learning Ecosystem in strukturierte, sortierte und hierarchisierende Darstellungsformen einzuengen. Deshalb hatte ich in meiner Antwort zwei Untersuchungsebenen beschrieben: Zum einen die verschiedenen (über-)organisationalen Ebenen, für die ein Corporate Learning Ecosystem Lebens-/Lernraum sein kann (Individuelle Lernende, Teams/Gruppen, gesamtes Unternehmen, Kund:innen/Partner:innen, Gesellschaft), zum weiteren die unterschiedlichen Bereiche (z .B. Praktiken, Inhalte, Infrastrukturen, Formalstruktur usw.), die darin zusammenfinden.

Trotz meiner Überzeugung, dass strukturierte und sortierte Darstellungsformen wenig sinnvoll sind, habe ich mich dennoch an einer versucht … halt eine möglichst unsortierte 😉

Die Abbildung sehe ich als ersten Arbeitsstand eines Versuchs, viele mögliche Scheinwerfer, Blickwinkel und Interessen auf ein Corporate Learning Ecosystem zu sammeln. Ich möchte demnächst weiter an der Darstellung arbeiten und freue mich über Kommentare und Ergänzungen!

3. Handelt es sich bei dem Thema Learning Ecosystem Ihrer Meinung nach um ein neues Thema oder ist es vielmehr ein altbekanntes Konzept, das nun mit neuem Namen wieder aufgegriffen wird?

Einigkeit auch hier: Die zitierten Antworten unterstützen das an biologische Ökosysteme angelehnte Verständnis des Begriffs und betonen die IT-übergreifende Sicht und die gegenseitigen Abhängigkeiten in einem Corporate Learning Ecosystem. Wir stimmen überein, dass das Konzept nicht neu ist, aber in der aktuellen Verwendung eine Sichtweise auf Lernen in Unternehmen ausdrücken kann, die immer drängender notwendig ist und eingefordert wird. So werde die Komplexität von Lernen in Unternehmen verständlicher. So finden die verschiedenen, bisher nebeneinander her arbeitenden Bereiche im Unternehmen besser zueinander, weil ihre gegenseitigen Abhängigkeiten deutlicher werden. So wird klarer, dass Corporate Learning nicht nur über den Trainingskatalog stattfindet.
Beim Lesen der verschiedenen Antworten der geschätzten Branchen-Kolleg:innen verdeutlicht sich mir die Relevanz des Begriffes, den ich früher als eher nervigen Hype-Begriff empfunden hatte. Wenn wir etwas benennen und beschreiben, machen wir es besprech- und bearbeitbar, können wir seine Relevanz artikulieren und es schützen.

4. Ihrer Einschätzung nach: Wieso sollte sich ein Unternehmen mit dem Thema „Corporate Learning Ecosystem“ auseinandersetzen?

Als einer der Hauptgründe wird „Arbeitgeber-Attraktivität“ genannt. Diesen Aspekt hatte ich bisher nicht berücksichtigt.

Unklar ist mir, wieso in einigen Antworten zuerst die Verbesserung individueller Lernprozesse der einzelnen Mitarbeitenden betont wird. Das macht für mich nicht den Reiz eines Corporate Learning Ecosystems aus, sondern kann durch den klassischen Mix aus gewährter Lernzeit, der Verfügbarkeit von Weiterbildungen, Zugang zu Content-Katalogen etc. erreicht werden.

Der Wunsch nach Verminderung der Mitarbeitenden-Fluktuation über gute Lernangebote begegnet mir in Projekten auch immer wieder, allerdings oft im Zusammenhang mit formalen Angeboten, die Karriereschritte ermöglichen. Das Allgemeine wie das Spezifische ist für mich nur ein sehr kleiner Teil eines Corporate Learning Ecosystems.
Die Aussage, dass durch die Pflege des Corporate Learning Ecosystems die Qualität der Arbeitsprozesse steigere, finde ich nachvollziehbar, weil dadurch auch die erfahrene Wirksamkeit und die Zufriedenheit der individuellen Mitarbeitenden steigen kann.

Wie mehrere Befragte betonen, tragen die Lernprozesse und Rückkopplungsschleifen in einem Corporate Learning Ecosystem dazu bei, dass das Unternehmen anpassungsfähig und damit wettbewerbsfähig bleibt.
Beim Lesen des Artikels und insbesondere meiner eigenen Aussagen beschleicht mich der Eindruck, dass wir vorsichtig sein müssen, den Begriff Corporate Learning Ecosystem nicht überzustrapazieren und als inhaltsleeren Platzhalter für von sich aus und ganz alleine gelingende Lernaktivitäten zu verwenden. Bei aller Faszination für Selbstregulation des Ökosystems bedarf es bewusster Arbeit an den Strukturen, in denen sich Beobachtbare des Corporate Learning Ecosystems bildet. Das betont auch Michael Huss, wenn er darauf hinweist, dass auch bei einer Missachtung des Themas ‚von selbst‘ ein Learning Ecosystem entstehen würde, das allerdings nicht unbedingt die erwünschten und strategisch intendierten Wirkungen hervorbringe.

5. Was macht Ihrer Meinung nach ein effektives Learning Ecosystem aus? Worin unterscheidet sich dieses von einem ineffektiven Learning Ecosystem?

Es wurde schon mehrfach betont, dass die dem Unternehmen dienlichen Funktionen eines Ökosystem durch das Beziehungsgefüge und die Wechselwirkungen der einzelnen Komponenten untereinander geprägt seien. Idealerweise passe sich dieses Gefüge flexibel auf Bedarfe und Bedürfnisse der Lernenden und des Unternehmens an.
Eine gut integrierte und aufeinander abgestimmte technische Infrastruktur, die zugänglich und leicht zu bedienen sei, fördere die Effektivität eines Corporate Learning Ecosystem. Abschließend wird erwähnt, dass die Wirkungsmessung zu den einzelnen Maßnahmen ein wichtiger Bestandteil sei, um zu erkennen, wie sie sich auf das Corporate Learning Ecosystem auswirken.

Eine mich besonders interessierende Frage, die im Artikel nicht erwähnt wurde, ist die Effektivität von Learning Ecosystems, Lernressourcen dauerhaft und nachhaltig zu nutzen und sich selbst am Leben zu erhalten. Zukünftig möchte ich mich darin vertiefen, wie Lernaktivitäten in einem Corporate Learning Ecosystem nicht nur die Nachhaltigkeit des Wirtschaftens fördern, sondern auch innerhalb der Lernens an und für sich selbst betrachtet nachhaltig funktionieren, und wie wir so von konsumierendem Lernen hin zu einem Kreislauflernen gelangen … einem Lernen, das sich selbst trägt und die benötigten Lernressourcen angereichert zurückgibt, angelehnt an Harold Jarches Seek>Sense>Share Framework … ? Ergibt das Sinn?

6. Welches Potenzial sehen Sie zukünftig in dem Thema Learning Ecosystems? Welche Relevanz wird dieses in den kommenden Jahren erfahren?

Die Antworten auf die letzte Frage lesen sich wie eine Zusammenfassung des vorher bereits gesagten. Die Branchen-Kolleg:innen betonen erneut die steigende Relevanz des Themas Lernen, erwähnen technologische Fortschritte, die Notwendigkeit von Flexibilität und Adaptivität und die von mir nicht uneingeschränkt geteilten Erwartungen an personalisierte Lernangebote, die datenbasiert auf das individuelle Lernverhalten einzelner Lernender zugeschnitten sind.

In dem Artikel tauchen Aussagen der folgenden Branchen-Expert:innen auf:

  • Michael Huss, M.I.T. e-solutions GmbH
  • Jan-Hendrik Precht, traperto GmbH
  • Dr. Nicolas Stephan, SPARRKS Service GmbH
  • Julian Wonner, troodi GmbH
  • Ernst Erni, easylearn schweiz ag
  • Kevin Groh, Valamis Deutschland GmbH
  • Thomas Hoger, 3spin Learning GmbH & Co. KG
  • Dr. Katja Bett, Corporate Learning & Chance GmbH
  • Manuel Yasli, Fellow Digitals GmbH
  • Tobias Göcke, SupraTix GmbH
  • Markus Herkersdorf, TriCAT GmbH
  • Christian Laber, G DATA CyberDefense AG
  • Volker Zimmermann, NEOCOSMO GmbH
  • Christian D. Borchert, Blue Elephants Solutions Pte. Ltd.
  • Renate Mitter, CLICK&LEARN GmbH
  • Natalia Jaszczuk, Learnlight
  • Friedl Wynants, youknow GmbH
  • Tim Burmeister, GP Strategie Deutschland GmbH
  • Claudia Musekamp, Infoport GmbH
  • Corinna Günther, blink.it GmbH & Co. KG
  • Birgit Albrich, BANDAO Guidance GmbH
  • Miriam Friedrichs, time4you GmbH
  • Carmen Hofmann, lawpilots GmbH
  • Nadine Westgate, Know How! AG
  • Johannes Starke, tts Knowledge Products GmbH
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